Diabetes Mellitus Typ 1 (Text 4)
Beim Typ-1-Diabetes handelt es sich um eine chronische Autoimmunerkrankung mit absolutem Insulinmangel. Dabei zerstört das körpereigene Immunsystem im Rahmen einer als Insulitis bezeichneten Entzündungsreaktion die insulinproduzierenden β-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Dieser Verlust der β-Zellen führt zu einem zunehmenden Insulinmangel. Erst wenn ca. 80–90 % der β-Zellen zerstört sind, manifestiert sich der Typ-1-Diabetes. In der Anfangsphase der Erkrankung ist möglicherweise noch eine kleine Insulinrestproduktion – messbar über das C-Peptid – vorhanden. Der Insulinmangel bewirkt folgendes: Glukose kann nicht mehr in die insulinabhängigen Gewebe bzw. Zellen aufgenommen werden. Die Glukose fehlt innerhalb der Zellen als Energielieferant und häuft sich im Blut an. Die Glukoseneubildung in der Leber verläuft ungebremst. Es werden bis zu 500 g Glukose pro Tag in das Blut abgegeben. Da diese von den Zellen nicht verwertet werden kann, verbleibt sie im Blut, und der Blutzuckerspiegel steigt. Das Körperfett kann nicht mehr in seinen Depots gehalten werden und wird ans Blut abgegeben. Es kommt zu einer Überschwemmung des Blutes mit freien Fettsäuren. Da zur Verstoffwechselung von Fettsäuren Substrate aus dem Kohlenhydratstoffwechsel notwendig sind, können diese Fettsäuren nicht auf normalem Wege abgebaut werden, sondern werden über einen Nebenweg zu Ketonkörpern umgebaut (Aceton, Betahydroxybuttersäure, Acetessigsäure). Da sowohl die freien Fettsäuren als auch diese Ketonkörper (Aceton ausgenommen) Säuren sind, kommt es zu einer Übersäuerung des Blutes (Ketoazidose), durch die sämtliche Stoffwechselvorgänge im Körper beeinträchtigt werden. Eine gesunde Nierenfunktion vorausgesetzt, wird nach Überschreiten der Nierenschwelle die Rückresorption in den Tubuli beeinträchtigt, sodass Glukose in den Urin ausgeschieden wird (Glukosurie). Um die anfallende Glukose ausscheiden zu können, muss sie über die verstärkte Diurese aus dem Körper geschafft werden. Es kommt zum ständigen Wasserlassen (= Polyurie) und in Folge zu einer Dehydration (Entwässerungszustand) mit ständigem Zwang zu trinken (Polydipsie), ansonsten wird schließlich (terminal) eine Exsikkose (Austrocknung) erfolgen. Zusammenfassend kommt es also im Insulinmangel zu einem Substratmangel in den Zellen, zu einem Blutzuckeranstieg, zum Wasser- und Nährstoffverlust, zu einer Übersäuerung des Blutes und zur Gewichtsabnahme. Im Extremfall kann es zu einem lebensgefährlichen Krankheitsbild kommen – dem ketoazidotischen Koma. Für den Typ-1-Diabetiker ist die Behandlung mit Insulin lebensnotwendig (Bereits nach acht Stunden kann ohne Insulinzufuhr die Entwicklung einer Ketoazidose einsetzen). Die Entstehung von Diabetes mellitus Typ-1 wird heute als multifaktorielles Geschehen verstanden, an dem sowohl genetische als auch Umweltfaktoren beteiligt sind. Epidemiologisch lässt sich weltweit ein Anstieg der Erkrankung feststellen: Nach dem EURODIAB-Registerdaten (2018) nimmt das Auftreten von Typ-1-Diabetes in Europa um 3,4 % pro Jahr zu, besonders in Polen (6,6 %). Für die USA wurde zuletzt ein Anstieg von 1,8 %, für Kanada ein Anstieg von 1,3 % berichtet. Besonders dramatisch ist der Anstieg in China mit 12 % / Jahr. Es gibt Hinweise, dass die seit 2013 bei Kleinkindern empfohlene Rotaviren-Impfung nebenbei einen Schutzeffekt gegen die autoimmunologisch vermittelte Entwicklung des Diabetes Typ-1 haben könnte. Bei Diabetes Typ-1 erkrankten Kinder korreliert die immunologische Antwort bekannter Antikörper gegen die Langerhans-Inselzellen des Pankreas (GAD65/anti-IA-2) mit dem IgG-Titer gegen Rotaviren. Ein ähnlicher Wirkmechanismus wird auch bei anderen Enteroviren und deren Schutzimpfung, wie z. B. den Coxsackie-B-Viren, vermutet. Es sind bislang mehr als 50 Gene identifiziert worden, denen ein Zusammenhang mit der Entstehung von Typ-1-Diabetes nachgewiesen werden konnte. Die meisten beschriebenen Genveränderungen bedingen eine polygenetische Entstehung, d. h. mehrere genetische Veränderungen müssen vorliegen, damit ein Typ-1-Diabetes entsteht. Nur in seltenen Fällen liegt eine monogenetische Erkrankung vor. Insbesondere genetische Veränderungen des kurzen Arms von Chromosom 6, der sogenannten MHC-Region, konnten für die Entstehung von Diabetes mellitus Typ 1 verantwortlich gemacht werden. Der Diabetes Typ 1 tritt am meisten zwischen dem 11. und dem 13. Lebensjahr auf und wird daher auch Jugenddiabetes genannt. Charakteristisch für die Manifestation des Typ-1-Diabetes ist die ausgeprägte Gewichtsabnahme innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen, verbunden mit Austrocknung (Exsikkose), ständigem Durstgefühl (Polydipsie), häufigem Wasserlassen (Polyurie), Erbrechen und gelegentlich auch Wadenkrämpfen und Bauchschmerzen. Allgemeine Symptome wie Müdigkeit, Antriebsarmut und Kraftlosigkeit, Leistungsminderung, Potenzstörungen, depressive Verstimmungen, Heißhunger, Schwitzen, Sehstörungen und Konzentrationsstörungen kommen hinzu. Kopfschmerzen sind auch nicht ungewöhnlich. Beim Typ-1-Diabetes muss das fehlende Hormon Insulin künstlich in Form von Insulinpräparaten zugeführt werden. Das Ziel dieser Insulintherapie ist nicht die Heilung von Typ-1-Diabetes, sondern Ersatz des fehlenden körpereigenen Insulins. Deshalb muss die Therapie kontinuierlich bis ans Lebensende durchgeführt werden. Eine Therapie zur Heilung ist bisher nicht verfügbar. Kontinuierlich messende Glucosesensoren allein oder in Kombination mit einer Insulinpumpe als künstliches Pankreas erlauben es, zur Therapiesteuerung durch den Patienten selbst oder über einen automatischen Regelalgorithmus mittels einer Insulinpumpe zeit- und bedarfsgerecht Insulin und ggf. auch Kohlenhydrate zu applizieren. Letzteres befindet sich noch im Experimentierstadium. Die kontinuierliche Blutzuckermessung ist technisch ausgereift. Sie wird zurzeit in Deutschland unter bestimmten Bedingungen von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt.
Welche der folgenden Aussagen lässt/lassen sich aus dem Inhalt dieses Textes ableiten?
1. Bei einem Mangel an Insulin kann Glukose von den Zellen nicht verwertet werden.
2. Typ-1-Diabetiker nehmen beim Auftreten der Krankheit schnell an Gewicht zu.
3. Durch die entstandene Polydipsie kommt es zur Polyurie.
4. Die Genetik ist unter anderem ausschlaggebend für die Entstehung des Typ 1 Diabetes.
1. und 4. sind richtig.
3. und 4. sind richtig.
Nur 2. ist richtig.
Nur 4. ist richtig.
Alle Aussagen sind richtig.